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Inseln im Meer der Stadt


Stadtteil: Kreuzberg
Bereich: Anhalter Bahnhofsviertel
Stadtplanaufruf: Berlin, Bernburger Straße
Datum: 28. Oktober 2019
Bericht Nr.: 673

Die Stararchitektin Zaha Hadid hatte die Fachwelt einige Zeit mit ihren utopisch anmutenden Architekturentwürfen überrascht, bevor sie - in Berlin - zum ersten Mal einen großen Bauauftrag realisieren konnte. Zaha Hadid war geprägt durch den Suprematismus, eine konsequent abstrakte Kunstrichtung. In die Architektur übersetzte sie dies mit der Fragestellung, wo die Grenzen des Raums sind. So entwarf sie Konstruktionen, die entgegen den Regeln der Schwerkraft zu schweben scheinen und dreidimensionale Objekte, die wirken, als könnten sie die Grenzen der Baukunst sprengen.

IBA-Hochhaus Zaha Hadid
Die Internationale Bauausstellung IBA 1984/87 suchte im Neubaubereich nach einem feministischen Ansatz und lud Zaha Hadid und zwei weitere Architektinnen zur Mitarbeit am "Frauenblock" ein, der an der Stresemannstraße Ecke Dessauer Straße errichtet wurde. Hadid schuf einen achtgeschossigen Baukörper, der über einem kleineren Sockelgeschoss schwebt und sich aus der Grundform eines Schiffsbugs dynamisch entwickelt, ohne sich durch horizontale oder vertikale Linien begrenzen zu lassen. Und doch ist der Bau unscheinbar im Vergleich mit ihren späteren kühnen Projekten. Bestes Indiz dafür ist, dass die Berliner den Bau nicht mit einem Spottnamen belegt haben.


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Die Einbindung in ein gemeinsames Entwurfsseminar verstand Hadid als Eingriff in ihre gestalterische Arbeit. Auch die Grenzen, die der staatlich subventionierte Soziale Wohnungsbau ihr setzte, konnte sie schwer akzeptieren, wie schon Corbusier bei seinem Bauausstellungsbeitrag 1957, dem Corbusierhaus. Wahrscheinlich hat Zaha Hadid das IBA-Hochhaus deshalb aus ihrem offiziellen Werkverzeichnis gestrichen. 2016 ist die Architektin gestorben, ein Nachruf würdigt ihre Begabung: "Sie ließ Beton fließen".

Unsere Stadt könnte mehr Bauten von Stararchitekten vertragen. Beim Nachfolgebau des Schlosses war meine große Hoffnung, "Wow"-Architektur zu erleben. Stattdessen wird es drei Viertel Retro- und ein Viertel Rasterfassade (genannt "modern"), also eine ganze Portion Mutlosigkeit.

Bezirksgrenzen
Bei unseren letzten Stadtrundgängen haben wir auf die Bezirksgrenzen geachtet und hierbei merkwürdige Grenzverläufe gefunden. An der Stresemannstraße ist dies nicht anders. Hier stoßen an der Ecke Köthener Straße die Bezirke Tiergarten und Kreuzberg und die alte Mitte aneinander. An der Südseite des Potsdamer Platzes war dies für die DDR besonders ärgerlich: Hier sollte ein Standbild von Karl Liebknecht aufgestellt werden, den Denkmalsockel gab es schon lange. Doch nach dem Mauerbau musste der Sockel leer bleiben, er stand im Sperrgebiet vor der Mauer. Und an der Niederkirchnerstraße konnte man das Gebäude, in dem die Kommunistische Partei gegründet worden war, nicht durch den Vordereingang betreten, weil der ebenfalls im Sperrgebiet lag (heute Abgeordnetenhaus).

Das Anhalter Bahnhofsviertel
Der Potsdamer Bahnhof südlich des Potsdamer Platzes wurde 1838 an der ersten preußischen Eisenbahnstrecke („Stammbahn“) eröffnet. 1841 folgte der Anhalter Bahnhof. Der traurige Portalrest des monumentalen Anhalter Bahnhofs - als Kopfbahnhof erbaut von Franz Schwechten - gibt heute keinen Eindruck mehr von der Bedeutung des Eisenbahnverkehrs in diesem Viertel. Beide Bahnhöfe wurden nach dem Zweiten Weltkrieg stillgelegt und der Potsdamer Bahnhof vollständig abgetragen.

Seit den 1930er Jahren verband die Nord-Süd-Bahn den Anhalter Bahnhof mit dem Nordbahnhof (damals Stettiner Bahnhof). An beiden Bahnhöfen wurden große Postverteilungsbauten errichtet, das Postamt N 4 für den Norden Berlins und das Postamt SW 11 für den Süden. Über einen Tunnel war die Briefverteilung SW 11 direkt mit dem Anhalter Bahnhof verbunden. Auf dem Bahnhofsgelände wurde 1940 ein Hochbunker für 3.000 Personen errichtet, der über den unterirdischen Zugang auch die Bediensteten der Postverteilung schützen konnte. Im Bunker zeigt Berlin Story zurzeit die Ausstellung „Hitler – wie konnte es geschehen?“

Um 1840 begann die Bebauung des Viertels mit Mietwohnhäusern in der Köthener und Bernburger Straße. Zwei von Maurermeistern errichtete Bauten aus der Anfangszeit sind in der Dessauer Straße erhalten. Das eine - dreistöckige - Haus wurde später aufgestockt und in eine Höhere Töchterschule umgebaut. Nach 1900 setzten sich großstädtisch geprägte Geschäftshäuser durch, die den urbanen Charakter des Viertels widerspiegelten. Dazu gehörte der neue Bautypus von Bürogebäuden, die nicht mehr komplett einem Unternehmen dienten, sondern etagenweise an verschiedene Firmen vermietet wurden. Eine ähnliche Entwicklung, wie sie bei den Stockwerksfabriken im industriellen Bereich zu beobachten war.

Der Bombenkrieg hat Kreuzberg schwer zugesetzt. In der südlichen Friedrichstadt sind nach einem Flächenbombardement im Zweiten Weltkrieg nur einzelne Altbauten wie zufällig stehen geblieben. Auch im Anhalter Bahnhofsviertel haben Bomben Lücken gerissen, die die Internationale Bauausstellung IBA 1984/87 mit Neubauten entlang der alten Blockstruktur weitgehend schließen konnte. So ist heute an den Bauten des Viertels die bauliche Entwicklung von 1840 bis zur Wende abzulesen. Weitere Lücken sind in der Nachwendezeit geschlossen worden oder werden gerade ausgefüllt.

Der Architekt Josef Paul Kleihues, Direktor der IBA-Neubauabteilung, hat - abweichend von der alten Blockstruktur - am Fanny-Hensel-Weg einen diagonalen Durchgang zwischen der Stresemannstraße und der Schöneberger Straße geschaffen. Sein geschwungenes sechsstöckiges Gebäude schmiegt sich im Osten an den Siemens-Gebäuderiegel an und verbindet ihn mit dem Geschäftshaus der Stockwerksbüros am westlichen Ende.

"Papierzeitung"
An der Dessauer Straße steht ein repräsentatives Büro- und Geschäftshaus von 1905, in dem die Berliner Papier- und- Druckgewerbe-Gilde ihren Sitz hatte. Es war erbaut worden von dem Herausgeber der "Papierzeitung", die ebenfalls in diesem Bau produziert wurde. Zeitung aus Papier? Die spontane Idee, hier könnte im Zeitungsnamen das Material genannt sein, auf dem das Blatt gedruckt wurde, greift zu kurz. Es war das "Fachblatt für Papier- und Schreibwaren-Handel und Fabrikation, sowie für alle verwandten und Hilfs-Geschäfte. Organ des Vereins Deutscher Buntpapier-Fabrikanten".

Die Geschichte seines Gründers und Herausgebers könnte aus dem amerikanischen Mythos "Vom Tellerwäscher zum Millionär" stammen. Sein gesamtes ererbtes Vermögen hatte der in Karlsruhe geborene Carl Hofmann bei einem misslungenen Eisenbahnprojekt im Schwarzwald verloren. Er wanderte nach Amerika aus, machte Karriere in der Papierindustrie und veröffentlichte ein "Handbuch der Papierfabrikation" in englischer Sprache, das ihn auch in Deutschland berühmt machte. Hierher zurückgekehrt, gab er die "Papierzeitung" heraus, verbesserte Papiermaschinen, organisierte die Papierprüfung am Preußischen Materialprüfungsamt, arbeitete für das Kaiserliche Patentamt, unterstützte Fachverbände und die Berufsgenossenschaft.

Das Gebäude an der Dessauer Straße entwarf der Architekt des Völkerschlachtdenkmals in Leipzig, entsprechend kraftvoll ist die Fassade gestaltet mit steinernen Wandpfeilern sowie waagerecht angeordneten Kupferplatten. Und mit "bay windows", Erkern, die einen größeren Ausblick zu den Seiten zulassen. Diese Erker waren bei Chicagoer Hochhäusern beliebt, und auch die Unterteilung des Gebäudes in drei Zonen mit unterschiedlichen Funktionen erinnert an Chicago und die Definition "form follows function" des Chicagoer Hochhausarchitekten Louis Sullivan.


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Siemens & Halske
Die Geschichte der Firma Siemens begann 1847 mit einer "Telegraphen-Bau-Anstalt", die Werner Siemens und Johann Georg Halske in der Schöneberger Straße gegründet hatten. Die Fabrik selbst ist heute nicht mehr vorhanden, aber zwei Verwaltungsgebäude, die Siemens am Askanischen Platz und in der Schöneberger Straße - gegenüber der Fabrik - errichtet hatte. Im Jahr 1901 wurde der Bau für die Konzernverwaltung eingeweiht, als das Unternehmen bereits seinen neuen Standort Siemensstadt aufbaute. Nach Kriegszerstörung wurde das Gebäude vereinfacht wieder aufgebaut. Heute nutzt es der Tagesspiegel, nachdem Varta hier Batterien produziert und das Finanzamt für Körperschaften die Steuern für GmbHs, AGs und Genossenschaften von hier aus eingetrieben hatte.

Um die Ecke in der Schöneberger Straße findet man an dem angrenzenden Gebäuderiegel des Mövenpick-Hotels ein technisches Relief mit mehreren Isolatoren, wie man sie an einem Hochleitungsmast finden konnte. Hier hatte Siemens 1914 eine Repräsentanz in der Innenstadt eingerichtet, nachdem die Fabrikation und Verwaltung nach Siemensstadt umgezogen waren. In dem Bau waren nicht nur Ausstellungs- und Verkaufsräume, sondern auch Werkstätten untergebracht.


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Ungers "Haus im Haus"
Der Architekt Oswald Matthias Ungers hatte sich schon zehn Jahre vor der IBA in einer Sommerakademie mit Studenten Gedanken gemacht über die zukünftige Entwicklung West-Berlins, das er angesichts rückläufiger Bevölkerungszahlen als schrumpfende Stadt sah. (Die Überalterung hatte der Spiegel 1968 sarkastisch auf den Punkt gebracht mit seinem Artikel, es gebe in West-Berlin eine "Konjunktur für Bestatter". Die Abwanderung der Industrie nach Westdeutschland war ein weiterer Faktor).

In der Stadt gab es urbane Dichte neben der durch den Krieg verursachter Ödnis und Leere, Ungers suchte nach einem neuen Ansatz für die Stadtentwicklung. Das Ergebnis war die Vision einer Stadt als "grünes Stadtarchipel". In dem von der Berliner Mauer umringten Ozean sollten sechzig isolierte, urbanen Inseln schwimmen, jede eine "Stadt in der Stadt". An der Köthener Ecke Bernburger Straße konnte Ungers für die IBA die Idee baulich umsetzen. Seine Grundformen wie Quadrat und Raster bestimmten den Bau, der als "Haus im Haus" realisiert wurde.

Ein quadratischer Sockel mit vierzig Metern Seitenlänge ist in neun quadratische Felder eingeteilt, von denen das mittelste als Hof frei bleibt. Zwischen den acht Bauquadern gibt es dreigeschossige Durchgänge. In den Obergeschossen sind alle Quader zu einem Gebäude verbunden. Leider hat die Durchlässigkeit des Gebäudes inzwischen gelitten, ein Durchgang ist mit übereinander gestapelten Fahrrädern zugemüllt, ein Teil des Archipels ist eingezäunt.

St.-Lukas-Kirche
Die älteste Straßenkirche Berlins steht in der Bernburger Straße, in den Blockrand zwischen Wohnhäuser eingefügt. Eine Vorhalle öffnet sich mit fünf Rundbögen zur Straße. Ein Campanile steht als markantes Wahrzeichen von der Straßenfront zurückgesetzt.


Für unser Flaniermahl suchen wir wieder ein Restaurant mit Lokalkolorit und finden einen typischen Italiener (typisch Berlin) im ersten Haus an der Anhalter Straße. Als wir sitzen, müssen andere hier bereits anstehen. Ein gutes Zeichen, hier wird eilfertig bedient. Saltimbocca und die Pasta mit Steinpilzen haben Charakter, bei Rot- und Weißwein teilen sich unsere Geschmäcker, aber nicht unser Wohlbehagen.
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Unsere Route:
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Innenansichten von drei Epochen
Schöne neue Welt