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Versuchsstrecke für Automobile


Stadtbezirk: Charlottenburg-Wilmersdorf
Bereich: Kurfürstendamm
Stadtplanaufruf: Berlin, Breitscheidplatz
Datum: 20. Juni 2011

Wenn die Stadt den 125.Geburtstag ihres Boulevards im "Neuen Westen" feiert, dann schlendern natürlich auch wir über den Kurfürstendamm. "Neuer Westen" hieß er in den "Goldenen Zwanziger Jahren", damals begann er am Landwehrkanal (heute Budapester Straße) natürlich mit der Hausnummer 1, heute fängt er an der Gedächtniskirche erst mit der 11 an. Der namenlose Knüppeldamm, über den einst die Kurfürsten vom Stadtschloss in den Grunewald ritten, wurde 1830 zum "Churfürsten Damm" und auf Bismarcks Initiative ab 1889 zu einer 53 Meter breiten, dreieinhalb Kilometer langen Prachtstraße ausgebaut (--> 1). Offensichtlich war der Kanzler von den Pariser Boulevards beeindruckt, 1871 war er zur Kaiserproklamation in Versailles. Finanziert hat man den Kudamm-Ausbau durch einen Deal, die Kurfürstendamm-Gesellschaft der Deutschen Bank bezahlte den Ausbau der Straße und erhielt dafür das Gelände der Villenkolonie Grunewald für einen sehr günstigen Preis, ein Börsianer würde sagen, der Kudamm wurde dort "eingepreist" (--> 2).

Die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche wurde 1895 eingeweiht. Der (Theater-)Kritiker Alfred Kerr spottete darüber, dass auf einer der Turmspitzen "eine lange Goldstange mit einem Stern und einem Kreuz" angebracht wurde um "die Höhe der Kirche um ein stattliches Stück künstlich emporzuschrauben". Das erinnert an den Kampf um den höchsten Wolkenkratzer in New York, 1929 war ein Gebäude in der Wall Street mit 283 Meter am höchsten und sah auch durch den Bau des Chrysler Buildings keine Gefahr, bis bei dessen Einweihung eine im Innern verborgene Stahlspitze ausgefahren wurde, die das Chrysler auf 319 Meter Höhe brachte.

Auf den ersten Blick scheint zur Zeit die Gedächtniskirche verschwunden und durch ein gesichtsloses modernes Gebäude ersetzt worden zu sein, aber was wie ein Scherz wirkt, ist nur eine Baustellenverkleidung aus Aluplatten, die weiß beklebt sind. Der Turm muss repariert werden, "der Zahn hat Karies" (Tagesspiegel). Jetzt fragen irritierte Besucher, wo die Kirche geblieben ist, man ist wohl etwas naiv an das Projekt heran gegangen und hat nur an die bauliche Seite, aber nicht an das Stadtbild gedacht, und das bleibt nun zwei Jahre so. Immer noch stilprägend für dieses Thema bleibt die Telekom, die die jahrelange Reparatur des Brandenburger Tores hinter wechselnden kreativen Verkleidungen verborgen hat, das hatte Witz und Charme und zeigte immer neue Abwandlungen des Tores.

In der frühen Nachkriegszeit hat die Kirche die Berliner heftig bewegt, die "Berliner Morgenpost" pushte ihre Leser zu einer Abstimmung für den Wiederaufbau der kriegsbeschädigten Kirche, andere beschäftigten sich mit den Planungen Egon Eiermanns für Ergänzungsbauten neben der Ruine. Eiermann, der erst nur "Steinhaufen" und einen "faulen Zahn" erkannt hatte, wurde zur Überarbeitung seines Entwurfs gedrängt - der stimmungsvolle Kirchenraum ist wie das ganze Ensemble zu einer Ikone der Nachkriegsmoderne geworden.

Der Boulevard Kurfürstendamm besteht in jeder Richtung aus einem breiten Bürgersteig, der zum Flanieren einlädt, der Fahrstraße mit jeweils einer Busspur und einer Autospur. Soweit die Mittelinsel nicht "Hochbeete" als Stolperfallen für Fußgänger und als Barrieren für Autos enthält, ist sie für Autoparkplätze eingerichtet. Platanen sind am Straßenrand und auf dem Mittelstreifen nach dem Zweiten Weltkrieg neu gepflanzt worden. Der ehemalige Playboy und Discobesitzer Rolf Eden, dem man angesichts seines Erfolges sowenig Denkfähigkeit gar nicht zugetraut hätte, plädiert in einem Interview: "Die Bäume können weg, wir brauchen Parkplätze", Verkehrsberuhigung ist für einen Rolls-Royce-Fahrer wohl unerträglich (im Zusammenhang mit dem Attribut Playboy bekommt „Verkehrsberuhigung“ vielleicht noch eine andere bedrohliche Dimension).

Beim Shoppen widmet man den Läden alle Aufmerksamkeit, beim Flanieren sollte man die Häuser und Fassaden näher ansehen. Viele Gebäude am Kudamm stehen unter Denkmalschutz, und das ist keine Sperre für Veränderungen sondern bedeutet nur, dass man mit der Denkmalbehörde ringen muss, wenn man Umbauten und neue Nutzungen vornehmen will. Das Kranzler, in dem in früheren Jahren von den besseren Damen viele Schlachten am Kuchenbuffet ausgetragen wurden, ist als Relikt einer vergangenen Zeit in einen gläsernen Hochhaus-Neubaukomplex eingebunden worden. Vom Haus Wien, dessen "Zigeunerkeller" alte Erinnerungen weckt, hört man, dass es in einen Apple-Store verwandelt werden soll (Apple geht in den Westen und nicht in die Mitte Berlins?). Sehenswert sind beispielsweise die Fassadengestaltungen am Backsteinhaus des Hotels California und die vielen repräsentativen Ecklösungen. Hier gab es Architekten, die am Schnittpunkt zweier Straßen ausdrucksvolle Bauwerke schaffen konnten. Die Vernachlässigung, ja Negierung dieser städtebaulich herausgehobenen Punkte überwiegt leider im Stadtbild, mangelnde Phantasie bleibt für Jahrzehnte sichtbar.

Der obere Teil des Kudamms Richtung Halensee war ein eher anrüchiges Gebiet, schon der Lunapark - jener Vergnügungspark am Ende des Kudamms, wo man auch den Ausbruch des Vesuvs und den "Untergang von Pompeji" mit spektakulärem Feuerwerk nachstellte - war Sittenwächtern ein Dorn im Auge. Der Lunapark wurde 1933 geschlossen. In noch früherer Zeit gab es am Kudamm in Halensee eine "Radrennbahn Kurfürstendamm", 1898 fand hier das erste internationale Damenrennen auf deutschem Boden statt.

Und wer ahnt schon, dass der Kudamm eine Versuchsstrecke für Fahrzeuge war, auf der das erste Elektroauto Probefahrten unternahm? 1882 begann Siemens auf einer 540 m langen Versuchsstrecke in Halensee Versuche mit einem Fahrzeug, dessen Bauform die Herkunft von der Kutsche nicht verleugnen konnte, man nannte es "Electromote". Betrieben wurde es mit Strom aus einer Oberleitung, deshalb wird es auch als erster "Oberleitungsbus" bezeichnet.

Wir biegen auf Höhe der Schaubühne in die Damaschkestraße ab und nehmen bei einem Italiener unser abschließendes Essen zu uns. Wie kreativ doch Gastwirte sein können, hier schenkt man Wein in 1,5 cl-Mengen ab, für die kein Eichstrich im Glas stört. Zweimal müssen wir den knausernden Ober zum Aufbessern drängen, nur tropfenweise kommt die Einsicht ins Glas. Eine Casa Italiana, die so wenig kundenfreundlich ist, sollte man nicht wieder besuchen.

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Mehr über den Kurfürstendamm finden Sie hier: Kurfürstendamm

(1) Bismarck hat sich ein Denkmal auf dem Kudamm gewünscht, wenn man ihm eins setzen wollte. Dazu kam es nicht. Ich habe ihm wenigstens im Bilderrahmen der Jubiläumsaktion neben dem Buddy-Bären Genugtuung verschafft.
(2) Villenkolonie Grunewald Millionen für eine Villa - gern auch in bar



Murellenschlucht
Die Berliner bauen ihre Berge selber