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Coole Stadt für Investoren


Stadtteil: Charlottenburg
Bereich: Zooviertel
Stadtplanaufruf: Berlin, Breitscheidplatz
Datum: 5. Dezember 2016
Bericht Nr: 571

In der geteilten Stadt war das Zooviertel das "Schaufenster des Westens". Im Zoo-Palast liefen die Filme der Berlinale, im Kranzler am Kudamm saßen die Damen und futterten Kuchen, vor dem Amerikahaus wurde gegen den Vietnamkrieg demonstriert. Bauten der Nachkriegsmoderne standen als aufgelockerte Stadtlandschaft rund um die Gedächtniskirchen-Ruine, die von Egon Eiermanns fünfteiligem sakralem Neubauensemble eingerahmt wurde. An der Nordseite des Breitscheidplatzes entstand das "Zentrum am Zoo" mit einem Hochhausriegel, dem Zoo-Palast und dem Bikini-Haus.

Ein ungewöhnliches Geschäftshaus schlug eine Brücke über die Kantstraße: Das Schimmelpfenghaus grenzte den Breitscheidplatz ab, bilka-Kaufhaus und Leineweber-Haus (zuletzt Beate Uhse) lagen damit außerhalb des Blickfelds. Als "Rockefeller-Center im Berliner Maßstab" entstand das Europa-Center mit Fußgängerbrücken über die Tauentzien und die Budapester Straße. Das Ganze war ein Ensemble, das mit seiner Leichtigkeit, seinen Raumeindrücken bewusst den Städtebau für eine freie Gesellschaft repräsentierte.

Vor neun Jahren hatten wir bei unserem Rundgang Solange es diese Zoogegend noch gibt die Zeichen bevorstehender Veränderungen wahrgenommen. Inzwischen ist ein ganz anderes Zooviertel entstanden, das zwischen den Polen "lebendiges, urbanes Zentrum" einerseits und "rücksichtloser Investorenprofit" andererseits oszilliert und den Denkmalschutz nicht als Verpflichtung, sondern als Hemmnis ansieht. Das Schimmelpfeng-Haus ist Geschichte, das Aschingerhaus ist entsorgt, am Kudamm eine Häuserreihe entmietet, das Bikini-Haus entkernt, das Kranzler nochmals umgebaut. Andererseits wird das Amerikahaus durch die Galerie C/O aufgewertet und zwei Hochhäuser gehen in neue Dimensionen.

Dringender Aufruf an Google Streetview
Keine der hier beschriebenen Veränderungen hat Google mitbekommen. Wer historische Stadtansichten sehen will, sollte das Zooviertel in den aktuellen Google Maps betrachten. Da schwingt sich noch das Schimmelpfenghaus über die Kantstraße, man kann Aschinger und das Beate-Uhse-Haus sehen, das Waldorf-Hotel ist noch nicht entstanden, stattdessen zeigt Google eine Baugrube. In meinen Fotogalerien können Sie Beispiele aus Google Maps finden.

Bikini-Haus
Für einen Teenie reichen wenige Stoffreste als Bikini, um den Körper wirkungsvoll in Szene zu setzen. In reiferen Jahren verdeckt ein einteiliger Badeanzug die leichten Gebrauchsspuren des weiblichen Körpers. Wenn aber eine Dame mit Einteiler meint, sie trage immer noch einen Bikini, dann hat sich das Bewusstsein nicht mit dem Sein entwickelt. So geht es - jedenfalls was den Namen betrifft - dem "Bikini-Haus" am Zoo, das längst schon nicht mehr als Bikini durchgeht. Tatsächlich ist es nicht einmal mehr das ursprüngliche Gebäude, denn es wurde bis auf das rohe Tragwerk entkernt und neu aufgebaut. Ursprünglich waren nur Erdgeschoss und erster Stock ausgebaut, dann folgte statt des 2.Stockwerks ein Luftgeschoss, im 3. bis 5. Obergeschoss wurde an 700 Nähmaschinen Konfektionsmode produziert. So war der Baukörper zweigeteilt wie ein Bikini, und das auf 200 Meter Länge. Doch schon im alten West-Berlin hat man dann das Luftgeschoss ummauert und die Staatliche Kunsthalle hier eingerichtet, vorbei war es mit dem Bikini-Look des Gebäudes.

In dem Quasi-Neubau eröffnete jetzt die "weltweit erste Concept Shopping Mall", ein Einkaufszentrum für Individualisten. Es gibt fest installierte Shops und "modulare Pop-Up Boxes", also verglaste Holzpavillons, die beispielsweise von junge Designern auf Zeit gemietet werden können. Die Mischung der Mall wird nicht von den üblichen Marken der großen Center wie Potsdamer Platz Arkaden, Steglitzer Schloss oder Gropius-Passagen bestimmt, sondern setzt auf kleine, exklusive Marken. "Lediglich fotografierende Touristen, lärmende Schulklassen und Kaffee trinkende Rentner bevölkern den Einkaufstempel", wird kritisiert, nur am Wochenende kommen mehr Besucher hier her.

25h-Hotel: nass, nackt und glücklich
Im Zoo-Fenster, etwas vom Bikini-Haus verdeckt, lockt das 25h-Hotel mit Hängematte und iPod-Dockingstation im Zimmer junge Gäste an. "get wet, get naked, get lucky" (nass, nackt, glücklich) wirbt das Hotel in einem Imagevideo. “Cooler Ort in cooles Berlin. Für jeder Berlin Reisender ain Erlebniss wert” schreibt ein Hotelgast im tripadvisor. Das ist kein gutes Deutsch, aber vielleicht ist seine Wahrnehmung besser als seine Sprachkenntnis.


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Woher kommt die eine Stunde am Tag - die 25. - die andere Hotels nicht anbieten können? Stellt man hier jede Nacht auf Winterzeit um? Oder ist das ein schief gegangener Marketinggag, 24 Stunden buchen, aber 25 Stunden bezahlen? "Die Zeit" will das mit einer Überdosis an Coolness erklären, also sozusagen einem Rauschzustand, der die Zeit verschwinden lässt. Die Stunden im Hotelnamen werden mit "h" abgekürzt, sonst würde man noch auf der Buchungsplattform landen, die in Berlin "Hotels mit Stundenbuchung" findet.

Tausendmal berührt, tausendmal ist nichts passiert
... und beim 1001. Mal hat es "Zoom" gemacht im Songtext von Klaus Lage. Der Investor, der sein Bauprojekt an der Joachimsthaler Straße "Zoom" nennt, wird sich solche Zurückhaltung bei seinen potenziellen Mietern nicht wünschen. Bei der Namensgebung hat er an den Zoo gedacht, er fand einfach die Idee des Ruhr-Zoos Gelsenkirchen so gut - der sich schon vor Jahren in "Zoom-Erlebniswelt" umbenannt hatte - dass er sie für sich übernommen hat. Gelsenkirchen ist weit, da wird schon keiner drauf kommen, dass das abgekupfert wurde.

Das Aschingerhaus ist weg. "Endlich", titelte die Morgenpost und schrieb über den "düsteren, stinkenden, von Kreaturen der Nacht bevölkerten Tunnel", die Arkaden, hinter denen Sex-Shops, Döner-Buden, ein Sportwetten-Büro, ein China-Imbiss, ein Pfandleiher ihre Dienste und Produkte anboten.

Vom Beate-Uhse-Museum an der Kantstraße bis zum Aschingerhaus in der Hardenbergstraße ist alles abgerissen, die Kräne kreisen über einem ausgedehnten Baugrund. Dadurch ist die geschmacksfrei verschnipselte Fassade des hinter der Bahn liegenden Hotels Motel One sichtbar geworden, das leider nicht mit abgerissen wird, obwohl im Upper-West-Hochhaus 18 Etagen für Motel One gebucht sind. Der Bezirk hätte an der Joachimsthaler Straße gerne ein höheres Haus gesehen. doch für den Investor soll es einfach nur schnell gehen. Den fragwürdigen bisherigen Nutzungen will er ein "strahlendes Architekturjuwel" folgen lassen, 150 Meter lang, die Baukosten für jeden Meter sollen 1 Mio. Euro betragen. Einer der Mieter wird wahrscheinlich die Billigkette Primark sein.

Eine Geschichte wie die von Aschinger wird sich auf diesem historischen Baugrund nicht wiederholen. "Aschinger-Brötchen à la discrétion" - in der Bierquelle von Aschinger gab es kostenlos Brötchen zur Erbsensuppe. Der erste Bau war noch in der Kaiserzeit errichtet worden, er wurde durch Bomben zerstört. Und als Aschinger nach dem Krieg an diesem Ort wieder öffnete, strömten Bettler, Streichholzverkäufer, Kriegsheimkehrer, Ehepaare, "hungrige Büromenschen, Frauen mit Pelzmänteln, Berliner in Arbeitskleidung und im Ausgehdress" in die Bierquelle zur Erbsensuppe.

Zoo-Fenster, Hotel Waldorf-Astoria
Gegenüber in der Joachimsthaler Straße stand die Verkaufspassage von Teppich-Kibek, als eine Brauerei nebenan ein Hochhaus errichten wollte. Leider wurde dabei das Fundament des Teppichhauses durch Bagger angegraben, so dass das Gebäude sofort und endgültig wegen Einsturzgefahr geschlossen werden musste. Die Brauerei baute letztendlich trotzdem nicht weiter, heute steht hier das Hochhaus "Zoo-Fenster" (118 Meter, 32 Etagen), in dem der Berliner Ableger des Hotels Waldorf-Astoria seine Gäste beherbergt. Der Name sollte keine New Yorker Noblesse erwarten lassen, in Berlin geht es schlichter zu.


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Upper West
Im östlichen Zentrum Berlins, prominent an der Friedrichstraße Ecke Unter den Linden, steht der Nachwendebau des "Upper Eastside", achtgeschossig, fast im konventionellen Maßstab, 31 Meter hoch. Dann wird man das "Upper West" folgerichtig im Zooviertel erwarten können. Schon von weitem ist es als 118 Meter hoher Turm mit 18 Stockwerken sichtbar. Wenn hier der mehr als hundert Jahre währende Wettbewerb zwischen den Stadtzentren Ost und West ausgetragen wurde, dann bekam diesmal der alte Westen den Punkt.

Der Investor schreibt, es ist "das erste Haus am Kurfürstendamm, denn hier, mit der Hausnummer 11, beginnt die beliebteste Einkaufsstraße Deutschlands". Stimmt, die anderen 10 Häuser jenseits der Gedächtniskirche wurden 1925 der Budapester Straße zugeschlagen. Das frühere Kudamm-Haus mit der Nummer 11 gehörte zum Komplex des Schimmelpfenghauses, das 10geschossig als Brückenbau über der Kantstraße schwebte. Brückenbau und Kudamm-Haus wurden abgerissen, um Platz für das Upper West zu schaffen.

Wird Berlin zur Skyscraper-City?
Wenn das Upper West ganz vollendet ist, werden im Zooviertel zwei Hochhäuser stehen. Am Potsdamer Platz sind es drei, am Alexanderplatz bisher eines. Dreizehn sind es wohl insgesamt in Berlin, die anderen stehen vereinzelt in Ost und West wie die Treptowers oder der Steglitzer Kreisel. Eine Wolkenkratzer-Skyline ist nicht zu erwarten, und so werden weiterhin das Brandenburger Tor und der Fernsehturm die Berlin-Ikonen bleiben.


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Gloria-Palast
Im zweiten Haus am Kudamm spielte früher das Lichtspielhaus Gloria-Palast. Der Schriftzug "Gloria" und der Baldachin über dem Eingang sind noch sichtbar, alles andere verschwindet hinter einem Baugerüst. Das Haus ist denkmalgeschützt, aber es sei "bautechnisch nicht mehr zu halten", behaupten die Eigentümer, zwei Investoren-Holdings, die gemeinsam auftreten. Sie haben bereits während der Bauphase den Upper-West-Komplex mit dem Hochhaus gekauft.

Ihnen gehören auch die beiden an den Gloria-Palast angrenzenden Kudamm-Häuser, darunter das ebenfalls denkmalgeschützte mit Hausnummer 15. Nur noch zwei Häuser, dann haben sie den Kudamm in diesem Straßenkarree zusammengekauft, Monopoly lässt grüßen. Es wird vermutet, dass sie den Gloria-Neubau mit mehr Geschossen planen und in dem ganzen Gebäudekomplex eine "Mall" einrichten wollen, so wie sie gegenüber im Wertheim/Karstadt-Kaufhaus entstehen soll. Bei Spielcasinos, die an jeder Ecke entstehen, hat die Stadt angefangen, gegenzusteuern, wahrscheinlich wird das bei Malls auch bald nötig sein.

Mampes Gute Stube
Am Kudamm 15 in "Mampes Guter Stube" wurde 'Mampe Halb und Halb' ausgeschenkt, ein Kräuterlikör mit einem betrunkenen Kutscher auf dem Etikett. Zu Anfang als "Bittere Tropfen" in Apotheken verkauft, sollte das Gesöff gegen Cholera helfen, aber auch den Soldaten im Schützengraben die Angst nehmen. Später wurde es mit Orangen versüßt und hat Dichtern wie Joseph Roth zu flüssigem Stil verholfen, der in der Guten Stube seinen "Radetzkymarsch" schrieb. In den kleinen erlesen eingerichteten Kabinetten war man hier ganz ungestört.

Die Berliner spotteten in Anlehnung an den Optiker-Werbespruch "Sind's die Augen, geh zu Ruhnke":
____Sind’s die Augen, geh’ zu Mampe,
____gieß’ Dir einen auf die Lampe,
____kannste allet doppelt sehn,
____brauchste nich zu Ruhnke gehn.

Mampes Gute Stube gibt es am Kudamm schon lange nicht mehr, so war ich nicht in Gefahr, mir nach diesem ernüchternden Rundgang einen auf die Lampe zu gießen.

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Veränderungen im Zooviertel haben wir auf folgenden Spaziergängen beobachtet:
> Februar 2010: Erotik-Mus im Mövenpi
> Februar 2007: Solange es diese Zoogegend noch gibt
> November 2005: Alles muss raus

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... ACHTUNG, es folgen ZWEI Bildergalerien ...
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... und hier sind weitere Bilder ...
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Unsere Route:
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Nur ein Viertelstündchen
Die Zeit vergeht. Das Gras verwelkt