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Bergmann mit Spitzhacke


Stadtteil: Wilmersdorf
Bereich: Zwischen Kurfürstendamm und Hohenzollerndamm
Stadtplanaufruf: Berlin, Xantener Straße
Datum: 20. Mai 2019
Bericht Nr.: 655

Gründerviertel, Musikerviertel, Florakiez - für die meisten Stadtquartiere gibt es eine gemeinsame Bezeichnung, die aus den Straßennamen abgeleitet wird. Ein solcher Quartiersname fehlt für das Viertel südlich des Kurfürstendamms bis zum Hohenzollerndamm. Zu unterschiedlich ist die Herkunft der Straßennamen, zu oft sind Straßenläufe zerstückelt, neu zusammengesetzt und neu benannt worden. Hergeleitet wurden die Straßennamen in diesem Quartier beispielsweise aus Ländern des Kaiserreichs (Sachsen, Pommern, Württemberg), Fürstengeschlechtern (Zähringer, Wittelsbacher), Städten (Xanten, Bad Ems, Duisburg, Düsseldorf) und einem deutsch-französischem Zankapfel in Lothingen (Pfalzburg/Phalsbourg).

Der Kurfürstendamm wurde 1889 angelegt, zehn Jahre später herrschte hier rege Bautätigkeit, die sich auch auf die angrenzende Xantener Straße ausgedehnt hatte. In der zweiten Reihe Richtung Hohenzollerndamm erfolgte die Bebauung zögerlicher. 11 Wohnanlagen in der Düsseldorfer, Zähringer, Sächsischen, Bayerischen, Emser und Württembergischen Straße entstanden erst zwischen 1924 und 1932, sie prägen das Bild dieses Quartiers.

Wohnblock Zähringerstraße
In der Zähringerstraße öffnet sich ein Wohnblock zu einem grünen Innenbereich mit einem ausgedehnten, leicht abfallenden Gelände. In dem kleinen Park steht eine Tiergruppe mit zwei Seelöwen und einem Pinguin zur Straße ausgerichtet. Ein Anwohner berichtet uns, dass hier früher ein Brunnen sprudelte, die Tiergruppe sei erst später von einem unbekannten Ort hierher versetzt worden. In die Wohnungen seien zu Anfang vor allem Fliegeroffiziere mit ihren Familien eingezogen.


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Der Architekt Carl Stahl-Urach hat diese Wohnanlage 1930 gebaut. Er hatte 1926 in Babelsberg das größte Filmatelier Europas errichtet, eine Halle in Eisenkonstruktion. Verschiebbare Wände ermöglichten es, mehrere Filme gleichzeitig zu produzieren. In dieser "Großen Halle" entstand Fritz Langs Meisterwerk "Metropolis". Auch in Spandau gab es (unbeheizte) Aufnahmestudios in der Zeppelinhalle, nur war die Halle in Babelsberg beheizbar.

Albert Gessner
In der Mommsenstraße und Niebuhrstraße hatten wir mehrere Mietwohnhäuser des Architekten Albert Gessner gesehen, die seinem Anspruch des Wohnungsbaus "nach künstlerischen Grundsätzen" entsprechen. Südlich des Kudamms hat er in der Düsseldorfer und Zähringer Straße drei Wohnblocks für Wohnungsbaugesellschaften errichtet. Zu seinen Auftraggebern gehörte die Heimstätten Siedlungsgesellschaft Berlin-Wilmersdorf, die 1937 in der GSW aufgegangen ist. Für die Heimstätten Wilmersdorf war auch der Architekt Stahl-Urach tätig.

Gessners Wohnanlage in der Düsseldorfer Straße gruppiert die Bauten ebenfalls um einen zur Straße offenen grünen Innenhof. Ein stilisierter Fahnenmast krönt das Mittelgebäude, aus einem schmalen Austritt mit Spitzbogenfenster könnte gleich ein Burgfräulein herausschauen. Seine Wohnanlage Zähringer Straße wurde teilweise im Krieg zerstört und vereinfacht wieder aufgebaut. An dem erhaltenen Bauteil sind die schmückenden Fassadenelemente sichtbar geblieben.

Architekten Iwan und Zamojski
Mehrere Wohnanlagen in der Bayerischen und Sächsischen Straße sind mit ornamentalen Keramikplatten als Portaleinfassung verziert. Jeweils in der oberen Umrandung haben die Architekten Heinrich Iwan und Stephan von Zamojski stolz ihren Namen und dem Baujahr einfügen lassen. Die Mindener Wandplatten-Werke lieferten für jede Wohnanlage Ziegel in individueller Farbe. Bei anderen Wohnanlagen in Wedding in der Sansibarstraße und Residenzstraße haben diese Architekten ähnlich hervorgehobene Hauseingänge geschaffen. Auch die Künstlerkolonie am Südwestkorso haben sie mitgestaltet.

Sächsisches Palais
Eine auffällige, mit Gesimsbändern und gelben Farbflächen horizontal gegliederte Fassade in der Sächsischen Straße gehört zu einer Wohnanlage mit dem anspruchsvollen Namen "Sächsisches Palais", erbaut in den 1920er Jahren. Hier hatte die Ärztin Dr. Elfriede Paul ihre Praxisräume, in der sich ab 1936 die Widerstandsgruppe "Rote Kapelle" traf. Die Praxis war ein idealer Treffpunkt, weil die Besucher nicht von Patienten zu unterscheiden waren. Manche wurden tatsächlich von der Ärztin behandelt. Die unbesetzte Pförtnerloge im “Sächsischen Palais” war so etwas wie ein "toter Briefkasten", über den Nachrichten innerhalb der Gruppe ausgetauscht worden sind. Die Gruppe wurde 1942 enttarnt.

Nur 250 Meter von dem Treffpunkt der Widerstandskämpfer entfernt etablierte sich zur gleichen Zeit eine Parteiorganisation der NSDAP - die Nationalsozialistische Volkswohlfahrt - mit ihrer Gauamtsleitung in einem Neubau an der Ecke Pommersche Straße. Auch nach Ende der NS-Zeit bleibt das Thema Wohlfahrt als genius loci (Geist des Ortes) erhalten. Zuerst ging es in dem Gebäude um die Kriegsopferversorgung, danach um soziale Angelegenheiten im Landesversorgungsamt / Landesamt für Zentrale Soziale Aufgaben / Landesamt für Gesundheit und Soziales.

Salzdetfurth in der Düsseldorfer Straße
Ein grüner Innenhof zwischen den beiden Flügeln eines Wohnbaus in der Düsseldorfer Straße, wie kommt der in dem kleinen Park stehende Bergmann mit der Spitzhacke in dieses bürgerliche Wohnviertel? Hier hatte der Salzdetfurth-Konzern seinen Sitz, der kalihaltige Salze abbaute, die für Düngemittel gebraucht wurden. 1937 hatte der Konzern von dem Architekten Paul Baumgarten ein Verwaltungsgebäude - zurückgesetzt hinter den Wohnbauten - errichten lassen.


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Der Firmenname ist in großen Metalllettern über der Eingangstür sichtbar. An diesem Konzern kann man beispielhaft deutsche Industriegeschichte studieren. Das Unternehmen begann 1889 als "Aktiengesellschaft für Bergbau und Tiefbohrung". Zu den Gründern gehörte Guido Henckel von Donnersmarck, der schlesische Industrielle, den wir als Gründer von Frohnau kennen. Beim Abbau von Kalisalz hatte Deutschland bis zum Ersten Weltkrieg ein Weltmonopol. Nach dem Verlust der Abbaugebiete in Elsaß-Lothringen war es mit dem Monopol vorbei. In der NS-Zeit wurde Kali zum kriegswichtigen Produkt, weil die landwirtschaftliche Produktion wegen weggefallener Importe gesichert werden musste. Alle deutschen Kali-Unternehmen wurden auf das Salzdetfurth-Unternehmen fusioniert, der Sitz nach Berlin verlegt.

Schon vor Ende des Frankreich-Feldzuges bemühte sich der Vorstand des Salzdetfurth-Konzerns um französische Kriegsgefangene, die "zum großen Teil qualitativ hochwertige Arbeitskräfte sind. Es ist zu erwägen, ob man nicht mit Unterstützung des Arbeitsamts bei dem nächstgelegenen Gefangenen-Sammellager vorspricht und hier eine Auswahl der Leute vornimmt."

Nach Kriegsende expandierte Salzdetfurth in Westdeutschland mit seinen dort belegenen Betriebsteilen, BASF wurde Großaktionär. Nach der Wende wurde die ostdeutsche Kaliproduktion einverleibt. Aus Salzdetfurth wurde die Kali und Salz AG, die in der Gegenwart ihren Namen auf "K + S AG" anonymisiert hat und größter Salzproduzent der Welt geworden ist.

Duisburger Straße
"Kleiner, dicker Berliner, der mit der Schreibmaschine eine Katastrophe aufhalten wollte." So charakterisierte Erich Kästner liebevoll den Journalisten, Schriftsteller, Kritiker Kurt Tucholsky, der von März bis Mai 1927 in der Duisburger Straße zur Untermiete wohnte. Tucholsky emigrierte später nach Schweden und nahm sich dort 1935 das Leben.


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In den Jahren ab 1939 sind viele Juden in diese Straße gezogen, weil sie aus ihren ursprünglichen Wohnungen im Gebiet des Kudamms verdrängt wurden. Für die abgerissenen Häuser und Wohnungen, die Albert Speers Stadtumbau zur Welthauptstadt "Germania" zum Opfer fielen, mussten Ersatzwohnungen geschaffen werden. Der Kudamm wurde bis zur Xantener Straße zum "judenreinen Gebiet" erklärt, die jüdischen Bewohner hinausgesetzt. Die Duisburger Straße lag außerhalb dieses Bereichs, hier fanden viele in beengten Wohnverhältnissen Aufnahme, bis 1941 die Deportationen begannen.

Mietshaus, Werkstatt, Tankstelle und Tiefgarage Düsseldorfer Straße
Im Haus Düsseldorfer Straße 68-69 sind mehrere Ladengeschäfte jeweils in angedeutete Nischen mit Rundbögen eingefügt. Ein weiterer Rundbogen öffnet sich als Einfahrt, nach oben in den Innenhof mit Autowerkstatt und Tankstelle, nach unten in das Kellergeschoss mit Garagen. Eine Anwohnerin hat über diesen Bau recherchiert, alte Dokumente zusammengetragen und es schließlich geschafft, dass das Haus vor zwei Jahren zum Baudenkmal erklärt wurde, ein bewundernswertes bürgerschaftliches Engagement.

Sie vermutet, dass es "die älteste Großgarage ist, die nach dem Ersten Weltkrieg in Wilmersdorf gebaut wurde". Das in den 1920er Jahren errichtete Gebäude enthält 34 kleine Wohnungen, die in starkem Kontrast zu den Limousinen stehen, die in der Zeit der beginnenden Motorisierung Luxusgüter waren. Die Garagen waren keine Abstellorte sondern Aufenthaltsorte für die Automobile mit einer Rundumbetreuung von Pflege, Wartung, Reparatur und Kraftstoff.


In der Düsseldorfer Straße finden wir für unser abschließendes Flaniermahl den perfekten Rahmen bei einem zypriotischen Griechen. Mir schmecken eine vegetarische gefüllte Aubergine und der Retsina, die Atmosphäre ist unaufgeregt und freundlich. Wir nehmen uns vor, wiederzukommen.

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Zu den Mindener Wandplatten-Werken gibt es eine Zuschrift im Forum:
Bergmann mit Spitzhacke (20.5.2019)

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... ACHTUNG, es folgen ZWEI Bildergalerien ...
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... und hier sind weitere Bilder ...
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Unsere Route:
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Karawane durch das Reich des silbernen Löwen
Rosinen auf der Straße